05.11.2020
Wintereffekt: Warum es Corona in der kalten Jahreszeit leichter hat
Verschiedene HNO-Experten erläutern, warum das Ansteckungsrisiko mit Corona-Viren (SARS-CoV-2) und vielen anderen Viren im Winter höher ist als im Sommer. Dies liefert auch die Erklärung für die steigenden Zahlen der Corona-Infizierten mit sinkenden Temperaturen.
Corona und vor allem die Anti-Corona-Maßnahmen haben viel Diskussionsbedarf. So meinen viele Schausteller, dass Weihnachtsmärkte im Freien stattfinden könnten, da aus den vergangenen Monaten keine auf Open-Air-Veranstaltungen zurückgehenden Infektionen bekannt sind. Doch ein Argument für die Absage lautet: Das Ansteckungsrisiko im Winter ist höher als im Sommer. Und: Für sehr viele Infektionen lässt sich nach Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) gar nicht nachvollziehen, wo die Ansteckung passiert ist - für ein begrenztes Umfeld wie eine Familie oder eine Feier ist das eher möglich als für von vielen Menschen genutzte Orte. Ob also sommerliche Großveranstaltungen die Infektionsausbreitung beschleunigt haben oder nicht, weiß derzeit niemand genau.
Hinzu kommt, dass die Wahrscheinlichkeit für eine Ansteckung derzeit allein dadurch größer ist, dass es inzwischen wesentlich mehr akut Infizierte gibt als noch vor zwei Monaten. Und noch ein Faktor
greift: SARS-CoV-2 wird in der kalten Jahreszeit verstärkt übertragen. Nicht nur, weil sich nun mehr Menschen drinnen statt draußen treffen, wo das Ansteckungsrisiko meist merklich geringer ist. Eine Reihe von Eigenschaften des Virus und des menschlichen Organismus begünstigen die winterliche Ausbreitung.
Typische Winterviren - zu denen auch SARS-CoV-2 gehört - hätten bei trockener Luft vermutlich eine höhere Überlebensfähigkeit, warnt Prof. Dr. med. Thomas Deitmer, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie. Besonders schlechte Bedingungen haben viele der Viren bei einer relativen Luftfeuchte zwischen 40 und 60%, wie aus einer im März veröffentlichten Studie von Forschern der Yale-Universität hervorgeht. Sinkt die relative Luftfeuchtigkeit - wie im Winter zu beobachten - verbessere sich die Ausgangslage für die Erreger.
"Die kalte Luft kann weniger Feuchte aufnehmen", erklärt der HNO-Arzt. Wird diese Luft bei gleichbleibender Luftfeuchte in Räumen erwärmt, sinkt die relative Luftfeuchte und es verbessert sich die Überlebensmöglichkeit und Infektiosität für das Virus. «Deshalb warnten schon die Großmütter nicht zu Unrecht vor trockener Heizungsluft», führt Deitmer aus. Aus seiner Sicht könnten daher Raumbefeuchter die Überlebensfähigkeit von SARS-CoV-2 verschlechtern.
Ein weiteres Problem: Das Nasen- und Bronchialsystem könne Viren im Winter schlechter unschädlich machen. Der sogenannte Flimmertransport von Viren und Partikeln auf der Schleimhaut verlaufe bei kälteren Temperaturen und relativ niedriger Luftfeuchtigkeit langsamer und zäher. Über die Flimmerhärchen würden die Viren aus den Bronchien zum Kehlkopf beziehungsweise aus der Nase in den Rachen transportiert und von dort in den Magen "abtransportiert und entsorgt".
Ein Aspekt, der aus Prof. Deitmers Sicht bisher recht kurz kam, sei die positive Wirkung der Mund-Nasen-Masken. "Die Maske nimmt einen Teil der Luftfeuchte beim Ausatmen an und gibt diese beim Einatmen wieder ab. Das erhöht die relative Feuchtigkeit der Luft und sorgt im Mund-Rachen-Raum für bessere Bedingungen zur Abwehr des Virus."
Auch regelmäßiges Lüften sei im Winter besonders wichtig, sagt Prof. Dr. Dr. h.c. Eberhard Bodenschatz, Direktor des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation. "«Wir lüften zu wenig. Dabei ist Stoßlüften essenziell." Das gründliche Lüften sei insbesondere im Winter besonders effizient. Bei deutlichen Unterschieden der Lufttemperatur im Innen- und Außenbereich ist der Luftaustausch wesentlich höher. In kürzerer Zeit käme so mehr virusfreie Frischluft in den Raum, so der Wissenschaftler.
Schließlich kommt hinzu, dass das Immunsystem im Herbst und Winter schwächelt."Durch weniger Sonneneinstrahlung sinkt der Vitamin-D-Spiegel und damit die Abwehrkraft eines jeden Einzelnen", erläutert Dr. med. Bernhard Junge-Hülsing, Landesvorsitzender des Berufsverbandes der HNO-Ärzte in Bayern. Auch depressive Verstimmungen schwächten die Abwehrkräfte. Solche saisonal-ausgeprägten Depressionen seien häufig im Winter und Herbst zu beobachten, erklärte jüngst Prof. Dr. med. Ulrich Hegerl von der Deutschen Depressionshilfe.
Quelle: dpa